450 Jahre Leonhard Kleber
Meister des Orgelspiels im Pforzheim des 16. Jhd.

Vortrag
mit anschließendem Orgelkonzert mit Werken von Leonhard Kleber

Mathias Kohlmann

anlässlich der Matinee zur Stadtgeschichte am 02.04.2006

 

Am 4. März hat sich der Todestag des Organisten und Vikars an der Pforzheimer Kollegiatskirche
St. Michael Leonhard Kleber zum 450. Mal gejährt. Hier in Pforzheim hat Kleber zum Ende des Jahres 1524 seine „Tabulatur“ – eine große Sammlung von Orgelstücken – vollendet. Vieles, was an früher Orgelmusik auf uns gekommen ist, verdanken wir dem Erhalt dieser bedeutenden Sammlung.
Für einige Stücke – etwa das berühmte „Recordare“ von Paul Hofhaimer – ist Klebers Tabulatur
die einzige Quelle.

„Leonhard Kleber de Geppingen“ – so seine eigene Namensbezeichnung – wurde um 1495 geboren. Wahrscheinlich hat er die Göppinger Lateinschule besucht. Musik mag er am Oberhofenstift, das auch
ein Kantorenkanonikat unterhielt, gelernt haben. 1512 ließ sich Kleber an der Heidelberger Universität
zum Theologiestudium einschreiben.

In Heidelberg amtierte der blinde Pfalzgräfliche Organist Arnolt Schlick, eine im deutschsprachigen
Raum sehr geachtete Kapazität im Orgelspiel und Orgelbau. Die Annahme, dass Kleber bei ihm
Unterricht hatte, ist jedoch nicht gesichert, denn Klebers Art der Notation und das Repertoire seiner Sammlung lässt nicht die Schülerschaft bei Schlick, sondern die Zugehörigkeit zum Stilkreis um Paul Hofhaimer, den berühmten Hoforganisten Kaiser Maximilians, erkennen. Einen Vertreter des Hofhaimer Kreises in der Heidelberger Region können wir zu Klebers Studienzeit immerhin orten: Conrad Bruman, Domorganist in Speyer. Von ihm hat Kleber ein Stück seiner Sammlung zugefügt, das „Pleni sunt coeli“. Ansonsten ist der große Anteil an Stücken von Hans Buchner, Münsterorganist in Konstanz und Meisterschüler Hofhaimers in Klebers Tabulatur auffällig. Ob Buchner, von dessen Orgel noch das prächtige Renaissancegehäuse im Münster erhalten ist, der prägende Lehrer war?

Klebers spärliche biographische Angaben in der Tabulatur beginnen 1516 mit der Stiftskirche Horb als erster Station im Amt eines Vikars und Organisten. Bereits zum 1. 9. 1517 unterschreibt Kleber den Anstellungsvertrag mit dem Rat der Freien Reichsstadt Eßlingen als Organist an den beiden Hauptkirchen St. Dionys und Liebfrauen. Er hat laut Anstellungsrevers die Orgel zu spielen „wie der Brauch und von
alter Herkommen“ ist – „und sunst wann das an mich begerdt wird“. Etwa vier Jahre bleibt Kleber in Esslingen, wo man ihn – nachdem der Probst des Pforzheimer Chorherrenstifts St. Michael ihm die Vikarspfründe des Organisten anbietet – zu halten versucht. Am 28. Juni 1521 wird Kleber in sein neues Amt in Pforzheim eingeführt. Immerhin einen Grund für diesen Wechsel erfahren wir von Kleber selbst: Man bietet ihm hier eine „Vicaria perpetua“, also eine Lebensstellung an.

Zum Jahresende 1524 vollendet Kleber seine Sammlung, die 112 Kompositionen auf 166 Blättern
umfasst und verewigt sich mit dem Zusatz „Phorze in edibus meis“. Er war also Hausbesitzer in Pforzheim geworden. Die Sammlung enthält in der Hauptsache Intavolierungen (= Orgeleinrichtungen) von Vokalkompositionen geistlicher und weltlicher Art. Hinzu kommen von Kleber selbst komponierte
freie Vorspiele, die er mit dem Gattungsbegriff „Preambalum“ oder (graekisiert) „Preambalon“ versieht. Diese Stücke sind entwicklungsgeschichtlich von einiger Bedeutung, weil sie den beginnenden Umbruch von der kirchentonalen Tonsprache zum Dur Moll Dualismus erkennbar machen. Ein ganz bedeutender Beitrag – wahrscheinlich von Kleber selbst geschaffen – ist ein Orgeltrio zu „Kum hailiger gaist, herre gott“, dem das „Veni Sancte Spiritus“ paraphrasierenden Lutherchoral. Zwei Bearbeitungen zu „Sancta Maria stand uns bei“ lassen eine Verbindung zum die Beerdigungen der Pesttoten begleitendem Liedgut der Löblichen Singer vermuten. Die Tabulatur ist nicht nur sehr schön und deutlich geschrieben, sondern auch noch liebevoll im Bereich der Titelanfänge ausgeziert, mitunter mit Zeichnungen und farbigen Drolerien versehen, so dass die Betrachtung Freude macht
.
Neben den kargen biographischen Angaben hat Kleber seine Schüler und die von ihnen empfangenen Honorare benannt. Er muss neben seinem Vikarsgehalt ein stattliches Zubrot verdient haben. Am Ende
der Tabulatur ist in einer dem 16. Jahrhundert entsprechenden Schriftform Klebers Todesdatum – der 4.3.1556 – notiert. Hat Kleber seine Tage in Pforzheim beschlossen? Mit Sicherheit nicht. Wir finden ihn spätestens ab 1530 als Kaplan in Tiefenbronn, wo er 1533 das umfängliche Zinsbuch für die Leibeigenen in den Dörfern des „Biet“ anlegt. 1538 wird er Vikar an der Leprosenkapelle in der Stadt Baden, später
an der Spitalkirche, schließlich steigt er zum Chorherr an der Stiftskirche Baden auf. Es ist bei den damaligen konfessionellen Gegebenheiten in unserer Region anzunehmen, dass Kleber sich gegen die Reformation und für den Verbleib beim alten Bekenntnis entschieden hatte.

Nach Klebers Tod könnte die Tabulatur in das Archiv eines bayrischen Klosters – zwischen der Stadt Baden und Klerikern aus Bayern bestand in dieser Zeit aufgrund der bayrischen Vormundschaft für den 1533 erst sechs Monate alten Erbprinzen Philibert reger Kontakt – gekommen ist. Wurde doch die „Rekatholisierung“ angegangen. Georg Pölchau, Musiksammler und später Archivar der Berliner Singakademie, hat die Tabulatur 1818 in Freising gekauft – wahrscheinlich bei einem Antiquariat. Durch Aufhebung von Klöstern boten die dortigen Antiquariate eine große Menge an Drucken und Handschriften feil. Bei Verbleib im Südwesten wäre das Werk mit Sicherheit in den Kriegswirren untergegangen. Die Tabulatur befindet sich heute im Bestand der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin.

Diese höchst wertvolle Sammlung hat unbeachtet Jahrhunderte überlebt – bis Musiker und Publikum Interesse alte Musik entwickelten. Dass unter Klebers Wirkungsorten besonders der Bezug zu Pforzheim und zur Schloßkirche deutlich wird, gibt unserer Stadt einen eigenen Rang in der Musikgeschichte und gehört neben dem Wirken geisteswissenschaftlicher Größen in Pforzheim zu den positiven Nachrichten,
die den verschiedenen geschichtlichen Unglücksfällen – mißlungene Universitätsgründung wegen Pfälzer Fehde, Verlust des Status als Residenz, Kriegszerstörungen – entgegenstehen. Auch deshalb engagieren sich die Stadt Pforzheim und die Gesellschaft der Löblichen Singer für das Andenken an Leonhard Kleber und haben einige Seiten der Tabulatur faksimilieren lassen. Mit Klebers Tabulatur sind uns und allen Musikinteressierten frühe und bedeutende Beispiele musikalischer Kunst erhalten geblieben, und sie entbietet uns – identitätsstiftend für unsere Stadt wie das Reuchlinkolleg und andere kulturelle Projekte – einen Gruß aus einer vornehmen und stolzen Vergangenheit.

Kirchenmusikdirektor Mathias Kohlmann

Hinweise: Eine ausführliche Arbeit über Leonhard Kleber mit Notenbeispielen und Abbildungen aus Dokumenten hat Mathias Kohlmann im zweiten Band des Festbuches der Gesellschaft der Löblichen Singer geboten: „Ängste und Auswege“, Bilder aus Umbruchzeiten in Pforzheim, Band II
Verlag Regionalkultur Ubstadt ISBN 3 89735 294 X

In der Schloßkirche erklangen Kompositionen von Leonhard Kleber aus Anlass seines 450. Todesjahres
am 2. April 2006. Zu diesem Konzert haben die Michaelsgemeinde, die Löbliche Singergesellschaft und das städtische Kulturamt gemeinsam eingeladen. In einer kleinen Ausstellung wurden dazu einige Faksimiles aus der Notenhandschrift „Orgeltabulatur des Leonhard Kleber“ gezeigt.

Orgelvortrag in der Schloßkirche Pforzheim
mit Kompositionen aus der Tabulatur von 1524
am 2.4.2006

450. Todestag Leonhard Kleber

Preambalum in ut
Leonhard Kleber

In pacientia vestra
Mag. Othmar Nachtgal (Othmarus Luscinius) 1516
Cantus firmus im Baß.

Zart schöne fraw
Hans Buchner (1520)

Zart schene Fraw
gedenk und schaw
wie mich dein lieb
mit steter ieb
hertzlichen sehr tut krancken.

Keyn ru hab ich
so lang biß sich
dein äuglein fein
mit liechtem schein
gen mir früntlich thun wencken.

Die haben sich so hertziglich
lieb haben sich besessen
hertzlieb schaw an
was ich dir gan
dein kann ich nit vergessen.

Pleni sunt celi
Conrad Bruman (1521)

Preambalum in fa
Leonhard Kleber

Kum hayliger gaist
Leonhard Kleber

Kum hailiger gaist Herre Gott,
erfül mit deiner gnaden gut
deiner gleubigen hertz mut und synn,
dein brünstig lieb entzünd inn ihn.
0 Herr durch deines lichtes glast,
zu dem glauben versamlet hast,
das volck aus aller welt zungen,
das sey dir Herr zu lob gesungen.
Halleluja, Halleluja.

Fantasy in Fa
Leonhard Kleber?

Sancta Maria
Leonhard Kleber

Saneta Maria won unß bey
und laß uns nit verderben
mach unß aller synden frey
und wen wyr sollen sterben
vor dem teufel unß bewar
hilff rayne magd maria.
Hilf unß zu der liben engel schar.
Szo singen wyr alleluia:
alleluia singen wyr
den waren Gott den loben wyr
auff das her unß zu lone
dy hymmelische Krone.
Kyrieleis, Kyrieleis,
gelobet seystu maria.

Es gieng ain man
Hans Buchner (bei F. Sicher: als „M. hansen“ bezeichnet)
Es gieng ain man den berg uff mit siben Eseln
Da raget ihm der sein uff mit siben eseln.
Weß Eselin, weß eselin,
Fill Seck und Esel, fill seck und Esel.

An der Orgel: KMD Mathias Kohlmann


Bild rechts: Der Beginn des „Recordare, Virgo Mater“ von Paul Hofhaimer. Die Initiale des in deutscher Hufnagelnotation geschriebenen Choralzitats ist ausgemalt; keck streckt der sich aus ihr wie aus einem Fenster herausreckende Männerkopf die Zunge heraus.


Leonhard Kleber hat seine Notenblätter oft und aufwändig mit Zeichnungen versehen. Unsere Abbildung (rechts) zeigt den Beginn der Partitur von „Lo torlidore“ aus dem Jahr 1520. Hier steht ein Mann mit Dreschflegel in zeitgenössischer Bekleidung auf einer Blumenwiese.

Copyright:
Alle Rechte vorbehalten.
Reproduktionen, Speicherungen in Datenverarbeitungsanlagen oder Netzwerken, Wiedergabe auf elektronischen, fotomechanischen oder ähnlichen Wegen, Funk oder Vortrag – auch auszugsweise – nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

Nach oben