Von der Pest zu den Seuchen unserer Zeit

Von der Pest zu den Seuchen unserer Zeit
Dr. Roswitha Kull
Leiterin Gesundheitsamt Pforzheim

Eröffnungsvortrag am 11. Juli 2001
der Ausstellung „500 Jahre Löbliche Singergesellschaft von 1501 Pforzheim“
vom 11.-25.Juli 2001
Die Geschichte der „Löblichen Singer“. Ihre Ursprünge in der Pestzeit.

Seuchen und Epidemien suchen seit biblischen Zeiten die Menschheit heim, verändern die Gesellschaft nachhaltig, hinterlassen tiefgreifende Spuren – bisweilen auch zum Guten – indem sie Kräfte in der Gesellschaft zu mobilisieren vermögen, die darauf ausgerichtet sind, Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen. Hierfür ist die 500jährige durch die Pest und aller in ihrem Gefolge aufgetretenen Nöte entstandene gemeinsame Geschichte mit den Löblichen ein eindrucksvolles Zeitdokument.

Die Geschichte der Pest ist eine besonders leidvolle Geschichte, denn der „Schwarze Tod“ gilt als eine der ältesten und gefährlichsten Seuchen. Pest tritt stets epidemisch oder gar pandemisch auf, ihre verheerenden todbringenden Seuchenzüge lassen sich bis ins Altertum zurückverfolgen. Von besonderer medizinhistorischer Bedeutung sind drei große Pandemien: Von 532 bis 595 wütete die Pest des Justitlan, die aus Kleinasien kam und fast alle Mittelmeerländer überzog.
„Schwarzer Tod“ wurde von den Historikern die zweite große, von Zentralasien ausgehende und sich über Indien nach Westen ausbreitende Pandemie genannt. Sie erfasste schließlich ganz Europa bis zum Ural. Ihren Höhepunkt hatte sie zwischen 1348 bis 1352, um dann im 18. Jahrhundert vollständig zu erlöschen. 1/4 der abendländischen Bevölkerung fiel ihr zum Opfer, ca. 25 Millionen Menschen starben. Die dritte große Pestseuche entstand 1890, breitete sich von Innerasien über Hongkong aus und hatte ihren Höhepunkt kurz nach der Jahrhundertwende.

Bis heute sind Naturpestherde in nagetierreichen Regionen des Mittleren Ostens, in Asien, Zentral- und Südafrika sowie in Nord- und Südamerika vorhanden. Entdeckt wurde der Erreger der Pest von Yersin, einem Schweizer, 1894 in Hongkong. Der Nachweis, dass Ratten und Flöhe als Erregerreservare dienen, folgte kurz darauf, 1897.
Nach Yersin lautet der wissenschaftliche Name des Erregers: Yersinia pestis. Es handelt sich um kapsellose coccoide Stäbchenbakterien, die im Dunkeln und bei nicht zu großer Trockenheit viele Monate lang überleben können, z. B. im Erdreich von Nagerbauten.
Die Bakterien bilden krank machende Toxine, die im Organismus zu Gefäßveränderungen mit Blutungsneigung und zu Schädigung von Leber, Milz und anderen wichtigen Organen führen.
Infiziert wird der Mensch z. B. durch den Stich eines Nagetierflohs. Unterschiedliche Krankheitsverläufe werden beschrieben: Bei der gutartigsten Form, mit latentem Verlauf, der Hautpest, bilden sich Bläschen, Pusteln und Karbunkel, die schließlich wieder ausheilen. Es kann von diesen aber jederzeit zur Aussaat über das Lymphsystem kommen. Die so entstandene Beulen-oder Bubonenpest, mit Beteiligung der regionären Lymphknoten, die 90 bis 95 % aller Krankheitsfälle ausmacht, führt ohne Behandlung zu einer Septikämie und durch Multiorganversagen schließlich zu einem schnellen Tod.
Die Inkubationszeit der Bubonenpest beträgt 2 bis 50 Tage, Krankheitszeichen sind druckschmerzhafte Lymphknotenschwellungen, Schüttelfrost, hohes Fieber, starke Kopfschmerzen, Schwindel- und Angstgefühle.
Gefährlicher noch ist die primäre Lungenpest, deren Übertragung aerogen, also über die Luft erfolgt. Die Inkubationszeit beträgt nur wenige Stunden bis Tage. Der Krankheitsbeginn ist gekennzeichnet von zunächst schleimigem, dann dünnflüssigem, hellblutigem Auswurf und einem rasanten Krankheitsverlauf, der ohne sofortige Behandlung innerhalb von 24 bis 48 Stunden zum Tod führt. Die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch, über die Luft.
Grundsätzlich führen 50 bis 90 % aller nicht rechtzeitig behandelten Pesterkrankungen, wenn die Erreger in die Blutbahnen gelangen, zum Tod. Die rasche Ausbreitung der Pest wird durch unhygienische Lebensbedingungen, enges Zusammenwohnen, insbesondere in Katastrophen- und Kriegszeiten gefördert, das gilt auch heute noch. Die Erschließung von Gebieten, in denen die Pest endemisch in sogenannten „Naturherden“ vorkommt, z. B. aus wirtschaftlichen oder touristischen Gründen, sei es in Afrika, Asien oder Amerika bedeutet auch für uns eine permanente Gefahr der Pesteinschleppung durch Flugreisende während der Inkubationszeit oder auch durch Tiere mit der Containerfracht.
Eine Impfung existiert, wird aber nur bei besonderen persönlichen Expositionsbedingungen empfohlen. Nach dem Infektionsschutzgesetz besteht eine namentliche Meldepflicht bei Verdacht, Krankheit oder Tod.
Wohl hat sich die moderne Medizin in den Industrieländern die Ausrottung von Pocken, Pest und Cholera auf ihre Erfolgsliste geschrieben, aber inzwischen wissen die Fachleute, dass das wohl den Gewinn einer Schlacht, aber noch lange keinen Sieg über den Mikrokosmos bedeutet, der uns täglich begleitet: Unsichtbar ist er, geheimnisvoll, tückisch, bisweilen Angst machend und faszinierend zugleich:
Tückisch – denn ein Zweikampf zwischen dem hochorganisierten „Organismus Mensch“ und diesen kleinen Killern, geht auch heute noch – in Millionen von Fällen jährlich – zu Gunsten der unsichtbaren mikrokleinen Angreifer aus. Ein Kampf, bei dem Muskelkraft und Intelligenz der Taktik unterliegen, durch Unsichtbarkeit und Kleinheit, die sich unseren Sinnen entzieht, das Opfer strategisch so in den Griff zu bekommen, dass urplötzlich, durch überwältigende feindliche Obermacht, keine Chance mehr besteht, den Kampf zu gewinnen. Der menschliche Organismus, d. h, das zuständige Immunsystem, reagiert viel träger als die Erreger, die sich durch einfache Querteilung mit exponentieller Geschwindigkeit vermehren können.

Der Holländer van Leeuvenhoek war im 19. Jahrhundert derjenige, der den Mikrokosmos in seinem Mikroskop als erster sichtbar und damit überhaupt erst vorstellbar machte. Es dauerte dann noch einige Zeit, bis die Medizin diese Mikroorganismen als die Erreger von Infektionskrankheiten entdeckte.

Schutzimpfungen, Hygiene, Antibiotika und Chemotherapeutika sind die Waffen, die die moderne Medizin inzwischen für ihren immer währenden Kampf gegen die Mikroben an die Hand bekommen hat.
Waffen, leider mit der Tendenz, leicht auch wieder stumpf zu werden:

Wie ein Messer nachgeschliffen werden muss, so müssen Antibiotika und Chemotherapeutika immer weiter entwickelt werden, um der Fähigkeit der Mikroben zu ständiger Anpassung an die gegen sie gerichteten Vernichtungsmechanismen entgegenzuwirken.
Der Kampf gegen die allerkleinsten Mikroorganismen, die Viren, ist deshalb ganz besonders schwer, weil sie ihr Parasitentum in der kleinsten Organisationseinheit des Lebens, der Zelle, entwickeln, so dass Medikamente, die sie bekämpfen, oft auch gleichzeitig die Wirtszellen schädigen.
Ebenso schwer ist aber auch der Kampf gegen die größten, die Protozoonen ( z. B. Malariaerreger) und zwar deshalb, weil sie vom Aufbau her menschlichen Körperzellen so sehr ähneln, daß durch entsprechende Gegenmittel auch gesunde Zellen mit angegriffen werden.
Bakterien dagegen kann man durch gezielte Stoffwechselgifte vergleichsweise viel einfacher bekämpfen, ohne daß zwangsläufig auch der Trägerorganismus Schaden nehmen muß.
Es gilt bis heute als keinesfalls entschieden, wer die ständige evolutionäre Auseinandersetzung zwischen dem organisierten Abwehrkampf des Immunsystems hochentwickelter Organismen und dem permanenten Überlebenskampf der Mikroorganismen durch Anpassung und Änderung ihrer genetischen Informationen gewinnen wird. Der regelmäßige Wechsel zwischen bahnbrechenden Erfolgen der Medizin, z. B. durch die Entwicklung von Impfstoffen und neuen Therapeutika gegen einzelne Erreger und dem Dagegensetzen strategischer Abwehrmaßnahmen der Mikroben, sei es wie bei AIDS durch ganz neue Strategien, nämlich durch Schädigung des Immunsystems des Trägerorganismus selbst, oder wie bei der Tuberkulose, durch zeitweilige Abkapselung der Erreger im befallenen Organismus, werden auch weiterhin miteinander wetteifern.

Gefördert wird das gesamte Infektionsgeschehen durch bestimmte menschliche Verhaltensweisen. Hierzu gehört unter anderem das Zusammenrücken der Weltbevölkerung durch Reisen und damit das Aufeinandertreffen unterschiedlich gefeiter Immunsysteme. Ebenso können Verhaltensänderungen im gesellschaftlichen Bereich, hier sei beispielhaft die sexuelle Befreiung genannt, Übertragungsmechanismen fördern, die sich die unsichtbaren Angreifer dann zunutze machen. Sogar die Hygiene selbst kann uns Probleme schaffen: Sie, die dafür geschaffen wurde, uns die Truppen zunächst vom Leibe zu halten, lässt sie dann bei späteren oder unvorbereiteten Kontakten umso erbitterter zuschlagen.

Das Jahr 2001 schreibt durch ein weiteres besonderes Ereignis Geschichte: Es ist das Geburtsjahr des neuen Infektionsschutzgesetzes, das das Management bei Infektionskrankheiten von der lokalen Ebene über die Landes- und Bundesebenen in einem Netzwerk mit EU und WHO neu regelt. Es löste nach fast 50 Jahren das in die Jahre gekommene Bundesseuchengesetz ab. Vielleicht ist Nomen hier wirklich Omen: Nicht von Seuchen, die ja schon primär Bedrohlichkeit suggerieren, denen wir machtlos ausgeliefert sind, die uns sozusagen „passieren“, sondern von „Infektionen“ und „Schutz“ ist hier die Rede. Das macht uns handlungsfähig und verheißt die Möglichkeit zu aktivem Schutz. Die gesetzliche Neuregelung im Umgang mit Krankheitserregern war dringend erforderlich geworden, weil gerade in den letzten 3 Jahrzehnten zahlreiche neue Erreger sowie die Renaissance altbekannter Erreger unter neuen Vorzeichen eine bedeutende Rolle gespielt haben.
Von den Verantwortlichen wird beklagt, dass immer neue epidemische Gefahren ins Blickfeld rücken, ohne dass sie bewusst registriert und ernst genommen werden. Es muß immer erst etwas passieren, bis Buchstabenkürzel wie AIDS, BSE, MKS plötzlich drohend im Raum stehen.
Hier haben Versäumnisse die Politik durcheinandergewirbelt. Ich erinnere an die Auflösung und Neuorganisierung des Bundesgesundheitsamtes vor einigen Jahren, sowie an die Ministerrücktritte der letzten Zeit. Da kommt das Infektionsschutzgesetz und die Aufwertung und Aufrüstung des RKI zur zentralen Schaltstelle für die Erfassung von Infektionskrankheiten in Deutschland zum richtigen Zeitpunkt. Denn leider ist es eine traurige Wahrheit, dass ein reiches Land wie die Bundesrepublik bisher eines der Schlusslichter bildete, was Steuerungsmechanismen in der Infektionsforschung, -verhütung und
-epidemiologie betrifft.
Hier macht die Entwicklung des jungen Infektionsschutzgesetzes bereits in den ersten Monaten seines Bestehens Mut: Die Datenlage und ihre Aufbereitung dient dazu, Trends zu ermitteln, Risiken zu analysieren: Mit einem Netzwerk von über 400 Gesundheitsämtern in der Bundesrepublik, als Schaltstelle das RKI, sowie durch die erfolgreiche Einführung modernerer, EDV-gestützter Kommunikation in beide Richtungen, sind wir dabei, ein effektives Netzwerk mit Schnittpunkten zur EU und WHO zu entwickeln.

Was wir aber nicht vergessen dürfen: Besonders betroffen vom globalen Infektionsgeschehen sind die Länder in der dritten Welt, die Ärmsten der Armen. Während bei uns 1 % der Menschen an Infektionskrankheiten versterben, sind es dort ca. 40 %.

Beispiel AIDS: Bei uns gibt es ca. 2000 Neuinfektionen/Jahr, was verglichen mit der Explosion dieser Seuche in der dritten Welt, infektionsepidemiologisch irrelevant ist. Fachleute bezeichnen AIDS als die größte medizinische Katastrophe der Neuzeit. Reinhard Kurth, der Direktor des Robert Koch Instituts in Berlin, vergleicht AIDS mit dem Eindringen der Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa. Heute ist das größte Sorgenkind Afrika. Stellenweise ist 1/3 der erwachsenen Bevölkerung HIV-infiziert und wird in den nächsten 5 – 10 Jahren sterben. Ähnlich deprimierend ist die Situation in Simbabwe, Südafrika, Indien und Südostasien.
Die Probleme können weltweit nur mit den Mitteln der Aufklärung und sehr viel Geld durch internationale Hilfe bewältigt werden. Hier ist die Politik gefordert, die Sache in den Griff zu bekommen. Als größtes epidemiologisches Gefahrenpotential der heutigen Zeit werden Transspezies-Übertragungen angesehen, ein Übertragungsweg, der auch für AIDS wahrscheinlich ist: Die Übertragung erfolgte vom Affen auf den Mensch. Möglicherweise durch Jagdverletzungen des Jägers gelang das Virus in den Menschen und passte sich an den neuen Wirt an. Es gibt Hinweise, dass erste HIV-Infektionen des Menschen bereits zwischen 1910 und 1950 stattfanden. In diesem Fall dauerte es also Jahrzehnte, bis sich das Virus in der heutigen Form im Menschen vermehren konnte. Als ein weiteres Beispiel einer möglichen Transspeziesübertragung gilt BSE: Schaf – Rind – Mensch. Futterpellets brachten die BSE-Epidemie der Rinder Anfang der 80-er Jahre in England ins Rollen.

Als neueste Transspeziesübertragung machen die Affenpocken von sich reden. Sie stammen von afrikanischen Nagetieren, die selber nicht erkranken, aber die Erreger auf Affen übertragen. Leider erkranken nicht nur Affen, sondern die Erkrankung kann auch von Mensch zu Mensch weiter gegeben werden. Vorerst geschieht dies jedoch, was Häufigkeit und Geschwindigkeit anbelangt, glücklicherweise noch auf niedrigem Niveau.
Trotzdem erschreckt uns die Tatsache als solche, weil seit fast 30 Jahren das Pockenvirus als ausgerottet gilt und deshalb bekannter Weise die Impfung eingestellt wurde. Wir begegnen dieser Seuche also weitgehend ungeschützt. Ob bei älteren Menschen, die noch mit dem Kuhpockenvirus geimpft wurden, ein Schutz besteht, ist nach einer Aussage von Reinhard Kurth (RKI) nicht vorhersagbar.

Alte und neue Seuchen, heute wie früher, haben Gemeinsamkeiten: Mobilität führte früher zu ihrer Ausbreitung, denken wir an die Einschleppung von Seuchen als ständiger Kriegsbegleiter und Mitkämpfer mit den Truppen. Heute reisen Mikroorganismen mit der Geschwindigkeit von Flugzeugen.
Sorgen macht den Mikrobiologen auch die Renaissance altbekannter Erreger: Beispielhaft sei genannt, dass es zu einer erneuten Häufung von Malaria kommt, seitdem DDT zum Abtöten der Moskitolarven nicht mehr eingesetzt werden darf, sowie im Gefolge der HIV-Infektion, die erneute Ausbreitung der Tuberkulose. Durch die Immunschwäche ist die Selbstheilungsrate bei TBC-Infektionen verschwindend gering, zusätzlich kommt es durch unqualifizierte vorzeitige Behandlungsabbrüche, manchmal auf Grund von Nichtverfügbarkeit der Medikamente durch Armut, zunehmend zur Resistenz der einschlägigen Chemotherapeutika.

Auch die Diphtherie, früher der große Kinderkiller, inzwischen bei uns fast vergessen, verläuft jetzt in Weißrussland und der Ukraine besonders bösärtig: Die Mortalität beträgt bis zu 30 %.
Infektionskrankheiten sind immer noch vornehmlich Krankheiten der armen Menschen. Trink- und Abwasserprobleme, eine unzureichende Behandlung und Behandlungsabbrüche aus Kostengründen, die die Resistenzentwicklung fördern, spielen hier eine wesentliche Rolle.
Alle großen Seuchen haben ein ähnliches Strickmuster:
Ob das folgende Zitat aus dem Gründungsjahr der Löblichen stammt oder aus dem Todesjahr 1918/19 durch eine weitere, uns auch heute noch in Atem haltende Seuche, lässt sich nicht sicher ausmachen: „Auf den Straßen brachen die Kranken zusammen und starben, ununterbrochen fuhren die Leichenwagen durch die Straßen“.
Der Killer, der hier beschrieben wird, heißt Influenza. Die Position bestimmter Himmelskörper, so eine Vermutung des 14. Jahrhunderts, könne einen „bösen Einfluss“ ausüben. Der Name für eine Krankheit, die auch heute noch nichts von ihrem Schrecken eingebüßt hat, war geboren.
Laut RKI kann die Grippe explosionsartig in wenigen Wochen 10 % der Bevölkerung infizieren. Viele tausend Menschen sterben jährlich in der Bundesrepublik an der Grippe und ihren Folgen, den Superinfektionen, denn auch die Grippe schwächt das Immunsystem. Ober das menschliche Leid hinaus ein volkswirtschaftlicher Schaden in Milliardenhöhe.

Die Grippe war schon Hippokrates bekannt, ein extrem hartnäckiger und raffinierter Erreger, der sich rasant vermehrt, ständig verändert, leicht zu übertragen (Tröpfchen) und extrem hartnäckig ist. Er wechselt ständig seine Gestalt und verursacht regelmäßig Epidemien. Leider ist in dieser Regelmäßigkeit keine Gesetzmäßigkeit zu entdecken. Es ist die Grippe, die in seuchenhygienischer Hinsicht unser Hauptbedrohungspotential ausmacht und nicht exotische Viren wie Ebola oder Lassa. Und gerade diese Grippeviren werden vom Laien sehr häufig unterschätzt, während sie den Fachleuten viel Kopfzerbrechen bereiten. Es besteht große Angst vor dem Auftauchen eines neuen Stammes, der kommen wird, nur weiß keiner, wann, Die Impfstoffanpassung hinkt zwangsläufig immer hinterher. Auch hier spielt die Transspeziesübertragung eine bedeutende Rolle: 1997 erkrankte an der Hongkonggrippe zunächst eine Geflügelpopulation und dann der Mensch. Laut dem Chef des RKI, Reinhard Kurth, ist folgendes Szenario bei einer Grippepandemie vorstellbar:
Selbst unser hochentwickeltes Gesundheitssystem käme schnell an seine Grenzen. Weltweit könnten nur
1 % der Patienten bei einer Pandemie in Krankenhäusern versorgt werden. In Deutschland wäre mit 120 000 Toten zu rechnen. Das Schlimmste sei jedoch der Verteilungskampf um den Impfstoff: Da nach 6 Monaten für Deutschland maximal 12 Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen können, müsste die Verteilung geregelt werden. Privilegierte wären zunächst die 7 Millionen Menschen, die für die soziale und medizinische Sicherung in unserem Land verantwortlich sind. Wenn dann noch bevorzugt Alte und Kranke geimpft würden, stände für den „Normalbürger“ im ersten Jahr kein Impfstoff mehr zur Verfügung. Die Gefahr, dass hierdurch sozialer Konsens und Rechtsfrieden empfindlich gestört werden könnten, liegt nahe

.“Mord um eine Impfdosis“ – „Impfen ist Mord “ denkbare Schlagzeilen, These alternativer Mediziner, was ist richtig? Zunächst: Eine Impfung ist die Nachahmung einer Erkrankung mit definierter Infektionsdosis und Infektionspotenz zu einem Zeitpunkt, zu dem der Organismus gesund und in der Lage ist, schützende Antikörper zu bilden, ohne der unkontrollierbaren Willkür des Wildvirus ausgeliefert zu sein.
Zu dieser Idealform der Seuchenbekämpfung gibt es keine vernünftige Alternative,
hierfür steht der Öffentliche Gesundheitsdienst hier im Lande und weltweit, kurz alle, die für das Infektionsgeschehen Verantwortung tragen.

Impfgeschichte in Deutschland ist zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte: Laut Stiko (= ständige Impfkommission) wurde in Deutschland der letzte Fall von Polio 1985 verzeichnet. Die Inzidenz von Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten ist von vielen Tausend Fällen auf einige wenige pro Jahr zurückgegangen. Dennoch: Alle Verantwortlichen sind nicht ganz zufrieden, denn in Deutschland werden Infektionskrankheiten inzwischen nicht mehr als bedrohlich angesehen, eine Impfmüdigkeit ist eingetreten, international werden wir sogar schon als Impfentwicklungsland bezeichnet.
Unsere Defizite beim Impfen liegen in den letzten 10 – 15 % der Durchimpfungsraten, ohne die wir keinen vollen Impferfolg verbuchen können. Denn das Ziel, die Ausrottung einer Erkrankung ist nur mit einem Durchimpfungsgrad von über 95 % zu erreichen, was uns inzwischen die Entwicklungsländer mit ausländischer Hilfe an Know-how und Geld oft vorbildlich vormachen. Wir benötigen für dieses Ziel zwar kein Geld und keine fachliche Hilfe, aber den eindeutigen politischen Willen.
Es ist erforderlich, Impfprogramme zu implementieren, die verbindlicher als bloße Empfehlungen sind und ein umfassendes Konzept beinhalten, das auf ganz breiter Basis bekannt gemacht werden muss, zu dem sich Bundes- und Länderministerien sowie die ganze Ärzteschaft unisono bekennen (Stiko). Jeder kannte früher den Slogan „Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist bitter“. Aber wer weiß heute schon, dass die Ausrottung der Masern in den nächsten Jahren z. Z. das nationale Impfziel darstellt?

Prinzip Hoffnung:
Die Erkenntnis, gerade der letzten Monate, dass große Seuchen sowohl im menschlichen als auch im tierischen Umfeld keinesfalls an Schrecken verloren haben und auf Dauer besiegt sind, und dass die Politik hierfür im Sinne aller Bürger die Verantwortung zu übernehmen hat, dass Verbraucherschutz und Lebensmittel-sicherheit, z. B. durch vernetzte Präventions- und Beratungsangebote, Grundlage für das Vertrauen aller Bürger, gerade auch auf regionaler Ebene schaffen müssen, wird inzwischen als breiter gesellschaftlicher Konsens empfunden.

So hat dann eine Feierlichkeit wie dies denkwürdige Jubiläum der Löblichen, gerade durch die Ereignisse der letzten Zeit, eine ungeahnte Aktualität erhalten. Sie kann Forum und Nährboden dafür sein, im Sinne eines umfassenden Gesundheits-schutzes über das alte, stets neue Problem der Seuchenbekämpfung bewusst neu nachzudenken.

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