52 Jahre Reuchlinpreisträger der Stadt Pforzheim 1955 – 2007

chronologisch zusammengestellt von
Dr.
Christian Groh, Pforzheim
anlässlich des Reuchlinjahrs 2005

1955 – Die Spuren des vergangenen Weltkrieges waren noch sichtbar; die Baustellen des Wiederaufbaus bestimmten das Straßenbild; die deutsche Nachkriegsgesellschaft richtete sich gerade im beginnenden Wohlstand des Wirtschaftswunders ein, suchte nach Zerstreuung in Hörfunk, Fernsehen und bei ersten Urlaubsreisen. Es war eher eine rastlose Zeit des Schaffens, weniger eine der Reflexion und Besinnung, eine Zeit, in der Technik und Naturwissenschaften mit ihrem sich ständig erweiternden Kenntnisstand die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bestimmten, weniger die Sinn stiftenden Geistes- und Sozialwissenschaften.
Just in diesem Jahr feierte die Stadt Pforzheim den 500. Geburtstag ihres berühmtesten Sohnes, Johannes Reuchlin. Um an das unvergängliche und vielseitige Wirken dieses großen Denkers zu erinnern, stiftete der Gemeinderat der Stadt den Reuchlinpreis. Mit dem Preis sollten „zur Förderung der Wissenschaften im Sinne Reuchlins“ hervorragende Arbeiten auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften gewürdigt werden. Der Preis, erstmals im Gründungsjahr im Beisein des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss verliehen, geht seitdem alle zwei Jahre an Wissenschaftler (und bislang zwei Wissenschaftlerinnen), die in ihrem oftmals fächerübergreifenden Forschen in der Tradition des unerschrocken nach Wahrheit suchenden Johannes Reuchlin standen und stehen.
Bis heute ist der Reuchlinpreis, der in Zusammenarbeit mit der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vergeben wird, eine Erinnerung daran, daß eine Gesellschaft bei allem technischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt auch der geistigen und kulturellen Grundlagen bedarf, um zu bestehen.Die bisherigen Preisträger sind:

1955

Prof. Dr. Werner Näf (* 7. Juni 1894, St. Gallen, Schweiz – † 19. März 1959, Gümlingen bei Bern, Schweiz)
Historiker, für die Biographie „Vadian und seine Stadt St. Gallen“, deren Ergebnisse „aus gewissenhafter, unvoreingenommener Durchforschung und objektiver Wertung des gesamten literarischen und archivalischen Materials“ resultiert und damit Reuchlins Forderung erfüllt, „das Studium der Quellen als Grundlage alles wissenschaftlichen Arbeitens zu setzen“.

1957

Prof. Dr. Rudolf Bultmann (* 20. August 1884, Wiefelstede, Oldenburg – † 30. Juli 1976, Marburg)
Evangelischer Theologe, für „die Bewältigung eines der wichtigsten Probleme der geistesgeschichtlichen Arbeit, nämlich für Erforschung und Verständnis der beiden großen Bewegungen des Christentums und der griechisch-römischen Antike“.

1959

Prof. Dr. Hans Jantzen (* 24. April 1881, Hamburg – † 15. Februar 1967, Freiburg)
Kunsthistoriker, für sein Hauptwerk „Ottonische Kunst“, eines der „wichtigsten kunstgeschichtlichen Werke seit dem Kriege“, das „nicht nur für Deutschland, auch nicht nur für die Fachdisziplin wesentlich und wirksam“ gewesen ist.

1961

Prof. Dr. Richard Benz (* 12. Juni 1884, Reichenbach, Vogtland – † 9. November 1966, Heidelberg)
Kulturhistoriker als den „Historiker der ästhetischen Kultur Deutschlands“, in dessen Werk sich „eine Atmosphäre menschlicher Kommunikation“ bildet, die „den Leser mit den geschilderten Gestalten“ der behandelten kulturhistorischen Epochen „lebendig zusammenschließt“.

1963

Prof. Dr. Wolfgang Schadewaldt (* 15. März 1900, Berlin – † 10. November 1974, Tübingen)
Altphilologe, für seine philologischen Studien und deren moderne Vermittlungsweise, die als „demokratische Variante des früheren aristokratischen Humanismus“ gewertet wurde, indem sie der Gegenwart „das Vorbildliche der Vergangenheit im Bewußtsein gehalten“ habe.

1965

Prof. Dr. Karl Rahner, S.J. (* 5. März 1904, Freiburg i. Br. – † 30. März 1984, Innsbruck, Österreich)
Katholischer Theologe, für die Entdeckung „vergessener Wahrheiten in der philosophischen und dogmatischen Tradition seiner Kirche, die manchen zunächst allzu kühn und gefährlich erschienen, die er aber unerschrocken und mit bezwingender Leidenschaft und Sprachkraft vertrat“.

1967

Prof. Dr. Erich Preiser (* 29. August 1900, Gera – † 16. August 1967, München)
Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, für seine „wirklichkeitsnahe“ Forschung über ökonomische Probleme, die er nicht als „auf sich bezogen“, sondern „im gesellschaftlichen Zusammenhang“ betrachtet.

1969

Prof. Dr. Gershom Scholem (* 5. Dezember 1897, Berlin – † 20. Februar 1982, Jerusalem, Israel)
Religionswissenschaftler, der „als erster die jüdische Mystik der Kabbala und des Chassidismus mit den Augen des historischen Forschers gesehen und im Geiste kritisch-verstehender Wissenschaft gedeutet“ hat und der somit das seltene Verdienst hat, „eine ganz neue Disziplin“ begründet zu haben.

1971

Prof. Dr. Hans-Georg Gadamer (* 11. Februar 1900, Marburg – † 13. März 2002, Heidelberg)
Philosoph, „wegen der Überzeugungskraft und Fruchtbarkeit seiner Lehre, der Weite des Bereichs seiner wissenschaftlichen Kompetenz, der Selbständigkeit und Produktivität seiner philosophischen Arbeit und der Integrität seines akademischen Lebensweges in einer von vielen Verstellungen und Beengungen durchherrschten Zeit“.

1974

Prof. Dr. Reinhart Koselleck (* 23. April 1923, Görlitz)
Historiker, für seine Begriffsgeschichte als „allgemein anerkannte historiographische Leistung, … die … niemals den unbeirrbaren Sinn für das unverwechselbar Einmalige gesellschaftlicher und geschichtlicher Prozesse vermissen läßt“ und für „Die Entstehung des preußischen Landrechts“ als „ein wirkliches Meisterwerk eines gereiften Gelehrten“.

1978

Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde (* 19. September 1930, Kassel)
Rechtshistoriker, für ein „ungewöhnlich umfangreiches und gewichtiges Werk“ und als „einen Schriftsteller …, der höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen folgt, von dem nachhaltige Wirkung ausgeht und der im besten Mannesalter steht“.

1980

Prof. Dr. Dolf Sternberger (* 28. Juli 1907, Wiesbaden – † 27. Juli 1989, Frankfurt a. M.)
Politologe, als einen hoch geschätzten Journalisten mit internationalem Ansehen und gleichzeitig als „Forscher und kritischer Analyst, der philosophischen Grundlagen der politischen Wissenschaften“, insbesondere für sein Werk „Drei Wurzeln der Politik“ als ein „Werk von ebenso wissenschaftlichen wie literarischen Rang“.

1983

Prof. Dr. Jan Bialostocki (* 14. August 1921, Saratow, UdSSR – † 26. Dezember 1988, Warschau, Polen)
Kunsthistoriker, als einer der „ganz wenigen überragenden Kunsthistoriker seiner Generation“ und als „Gelehrten größten internationalen Ansehens, dessen Wirken zugleich von der Verantwortung für die Bewahrung gesamteuropäischer Kultur und in guten wie in bösen Tagen von enger Verbundenheit mit unserem Lande bestimmt war“.

1986

Dr. Leiva Petersen (* 28. November 1912, Berlin – † 17. April 1992, Weimar)
Altphilologin, für ihr fachwissenschaftliches Schaffen, das „all denjenigen, die sich mit der Geschichte der römischen Kaiserzeit beschäftigen, ein unentbehrliches Hilfsmittel in die Hand“ gibt und als ehemalige Verlagsleiterin, wo sie sich um „die Geisteswissenschaften im breitesten Sinne durch ebenso vielfältige wie unermüdliche Arbeit verdient“ machte und „in einer geteilten Welt die besonders schwierigen organisatorischen Aufgaben gesamtdeutscher … Publikationsvorhaben“ übernahm.

1989

Prof. Dr. Uvo Hölscher (* 8. März 1914, Halle/Saale)
Altphilologe, für das 1988 erschienene Buch „Die Odyssee, Epos zwischen Märchen und Roman“, ein „faszinierendes, liebenswertes Buch und ein eindrucksvolles Beispiel von der fortwirkenden Kraft antiker Dichtung“, das „uns in eine Kunst des Lesens einführt, die zarte Einfühlung mit sorgfältiger Beobachtung verbindet“.

1991

Prof. Dr. Christian Habicht (* 23. Februar 1926, Dortmund)
Althistoriker, als „ein großer Forscher und Gelehrter“, in dessen Schriften sich „umfassende Gelehrsamkeit, methodische Strenge und peinliche Sorgfalt mit der schöpferischen Phantasie des Forschers“ verbinden, zugleich als einen „Meister in der Kunst, seine Wissenschaft in Wort und Schrift auch einer breiteren Öffentlichkeit nahezubringen“.

1993

Prof. Dr. Werner Beierwaltes (* 8. Mai 1931, Klingenberg am Main)
Philosoph, für seine philologische und historische Arbeit über die Autoren des Neuplatonismus, in der „das in seiner Tragweite so oft unterschätzte neuplatonische Denken in einer Weise … vorgestellt wird, daß es für die philosophische Prinzipiendiskussion gerade heute eine Herausforderung, auf jeden Fall aber ein Kontrapunkt sein kann“.

1995

Prof. Dr. Albrecht Schöne (* 17. Juli 1925, Barby an der Elbe)
Germanist, insbesondere für seinen Text- und Kommentarband zu Goethes „Faust“ und als ein Meister der Sprache, der „in seiner wissenschaftlichen Prosa eine Synthese zwischen Gelehrtheit und der schönen Klarheit der Darstellung“ hergestellt und „dem wissenschaftlichen Wort eine unüberhörbare Stimme in einer breiten Öffentlichkeit verliehen“ hat.

1997

Prof. Dr. Albrecht Dihle (* 28. März 1923, Kassel)
Altphilologe, als einen außerordentlichen Gelehrten, der die Anforderungen des Reuchlinpreises, „wissenschaftliches Ethos, profunde Bildung, souveräne Weitsicht und engagierte Humanität“ genauestens erfüllt.

1999

Prof. Dr. Paul Zanker (* 7. Februar 1937, Konstanz)
Archäologe, der seine Fachwissenschaft „über die Kunstgeschichte hinaus in eine interdisziplinäre Betrachtungsweise geführt“ und der „ein neues Verständnis von Bildwerken der Antike eröffnet hat“.

2001

Prof. Dr. Annemarie Schimmel (* 7. April 1922, Erfurt – † 26. Januar 2003, Bonn)
Orientalistin, weil sie unter den deutschen Islamwissenschaftlern wegen ihrer „Sprachbeherrschung und Fähigkeit zur Vermittlung zwischen den Kulturen“ eine herausragende Stellung einnehme.

2003

Prof. Dr. Wilhelm Hennis (* 18.02.1923, Hildesheim)
Politikwissenschaftler, als eine der „Schlüsselfiguren der Politikwissenschaft“, einer „Lehre vom richtigen, vernünftigen, klugen, guten Handeln, und zwar vom richtigen Handeln im öffentlichen Bereich“ und als „ausdauernd, mutig und kräftig gegen den Strom schwimmenden“ Wissenschaftler.

2005

Prof. Dr. Arnold Esch (* 18.04.1936), Historiker,
als einer der national wie international angesehensten deutschen Historiker, dem die Epoche Johannes Reuchlins in Italien und in Deutschland bestens vertraut ist und der als ehemaliger Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom eine der wichtigsten Positionen der deutschen Geschichtswissenschaft innegehabt hat.

2007

Prof. Christian Meier (*1929 in Stolp/Pommern), Historiker,
ist einer der bekanntesten Historiker Deutschlands und hat auch einige populärwissenschaftliche Werke veröffentlicht. Er studierte Geschichte, Klassische Philologie und Römisches Recht. Von 1981 bis 1997 htte er den Lehrstuhl für „Alte Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ in München inne. Von 1980 bis 1988 war Prof. Meier Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands und von 1981 bis 1995 Kurator des Münchner Historischen Kollegs. Zudem ist der Mitbegründer der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft und war von 1996 bis 2002 Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Als Historiker vertritt er den Anspruch, erzählerische Geschichtsschreibung zu betreiben. Für seinen Einsatz für die deutsche Sprache erhielt Prof. Meier 2003 den Jacob-Grimm-Preis. Bereits 1998 wurde er für seine eigene Beredsamkeit mit dem CICERO-Rednerpreis ausggezeichnet.

Festrede Professor Christian Meier anlässlich der Reuchlinpreisübergabe am 14.07.2007 in Pforzheim
Kultur um der Freiheit willen – Europa und die Griechen

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